Als viertes von vier Kindern, nicht geplant, aber gewollt (so versicherten mir meine Eltern), erhielt ich den Namen Dorothea. Das kommt aus dem Griechischen und bedeutet Geschenk Gottes. Meine Eltern gaben mir in den Jahren meiner Kindheit oft zu verstehen, dass sie froh waren, mich zu haben: das Nesthäkchen, ihr Geschenk Gottes an sie. Und so bemühte ich mich redlich, dieser Vorstellung, die sie von mir hatten, zu entsprechen. Meine Eltern hatten viele Sorgen. Meine beiden Schwestern hatten Pläne für ihr Leben, die so gar nicht dem entsprachen, was meine Eltern sich für sie gewünscht hätten. Sie brachten sich in große Schwierigkeiten und meine Eltern machten sich große Sorgen. Ich fühlte mich in einer Mittlerposition. Ich liebte meine große Schwester, wollte aber auch den Erwartungen meiner Eltern entsprechen.
Mein Vater hatte einen eigenen Schuhmacherei-Betrieb und auch hier hatte er oft Sorgen.
Außerdem leitete er eine kleine, freikirchliche Gemeinde, was ihm zwar viel bedeutete, ihn auch oft belastete.
Kurzum: ich versuchte, das auszugleichen, was das Leben meinen Eltern an Schwerem aufbürdete. Dies war ein aussichtsloses, mich hoffnungslos überforderndes Unterfangen. Dieses Gefühl der Überforderung verfolgt mich bis heute. Ich habe sehr gute Antennen, wenn es darum geht zu erkennen, was man von mir erwartet. Dann versuche ich, jede Erwartung zu erfüllen. Dafür ernte ich viel Anerkennung. Denn ich mache mich schnell unentbehrlich. Ich sage, was man hören will und tu oft mehr als gefordert.
Allerdings bin ich oft traurig, weil ich das Gefühl habe, dass für mich nichts mehr übrig bleibt. Wenn ich alles getan habe, was man (vermeintlich oder tatsächlich) von mir erwartet, bin ich erschöpft und neige dazu, mich mit den schnell verfügbaren Alltagsdrogen wie Essen, Fernsehen oder einem Glas Wein zu entschädigen und zu betäuben. Ich möchte so viel tun, so viel erleben, doch ich habe immer das Gefühl, dafür ist keine Zeit mehr übrig. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Leider ist die Arbeit unendlich und für das Vergnügen bleibt keine Zeit mehr.
Was wäre, wenn mein Name jedoch bedeuten würde, dass mein Leben Gottes Geschenk an mich ist? Denn schließlich soll ich meinen Nächsten lieben wie mich selbst. Nicht statt meiner selbst. Und nicht vor meiner selbst. Sondern wie mich selbst. Also übe ich mich nun darin, mich wie ein Geschenk Gottes zu behandeln. Das fällt mir schwer, denn ich bin nicht geübt darin. Ich brauche meine Freundin, die mir immer wieder ernst ins Gewissen redet und meine große Tochter, die mich sehr gut versteht und mich darin bestärkt, das „people-pleaser“-Syndrom zu überwinden. Sie kennt sich damit aus, denn verhängnisvollerweise habe ich es schon an meine Kinder „vererbt“. Allerhöchste Zeit, damit aufzuhören. In kleinen Schritten, einer nach dem anderen versuche ich, mein Verhalten zu ändern.

Ich versuche ehrlich zu sein und nicht zu sagen, was man von mir gern hören möchte.
Ich versuche, für meinen Körper zu sorgen mit Sport und gesundem, maßvollem Essen.
Ich versuche, das zu tun, was mir gut tut.
Ich versuche, damit aufzuhören, meine Familie mit meinem Verwöhnen unselbstständig zu machen.
Ich versuche, Dinge zu tun, die ich gern mache.
Ich versuche, Arbeit sein zu lassen, die auch andere tun können.
Ich versuche, mich um meine Angelegenheiten zu kümmern.